Aufbruch statt Abgesang

Christoph Degen (SPD), Landtagsabgeordneter

Die SPD hat eine aufreibende Zeit hinter sich: Erst die Wahl der beiden neuen Bundes-Vorsitzenden durch ein Mitgliedervotum, dann ein Parteitag, bei dem viele darauf lauerten, dass die GroKo vor dem Aus steht. Im Vorfeld konnte man zahlreiche Abgesänge auf Deutschlands älteste Volkspartei lesen. Der Bundesparteitag zeigte das Gegenteil: viel Motivation, Ideen, wichtige Beschlüsse und Weichenstellungen. Eine Aufbruchsstimmung mit einer mutigen Erneuerung an der Parteispitze.

Das neue Führungs-Duo aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ist offenbar das Ergebnis der Sehnsucht der Mitglieder nach neuen Köpfen. Doch an ihnen wurde gerade vonseiten der Presse oftmals ausgemacht, ob die Große Koalition weiter besteht oder nicht. Bei vielen Gesprächen mit Mitgliedern hatte ich jedoch nicht den Eindruck, dass es den Sozialdemokraten um die Frage GroKo ja oder nein geht. Auch Walter-Borjans und Esken hatten sich nicht grundsätzlich gegen deren Weiterführung geäußert. Wir sind nicht gerne und leichtfertig in diese Koalition gegangen, doch nachdem die FDP 2017 plötzlich von den Sondierungsgesprächen mit CDU und Grünen abgesprungen ist, galt es für die SPD-Verantwortung zu übernehmen, um eine Regierung zustande zu bringen. Das hat sie getan.

Nun zeigt auch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, dass über sechzig Prozent aller Vorhaben der beiden Regierungsparteien, die im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurden, entweder verwirklicht oder auf den Weg gebracht sind. Die Mehrheit davon von der SPD und im Sinne der sozialen Gerechtigkeit. Bis heute setzt die SPD als Regierungspartei also viele ihrer Vorhaben erfolgreich um.

Ich erinnere da etwa an den Mindestlohn, die Abschaffung des Solis für 90 Prozent der Bevölkerung, die bessere Bezahlung von Beschäftigten in der Pflege oder den Azubi-Mindestlohn sowie bessere Arbeitsbedingungen für Paketzusteller. Ob die SPD dies aus der Opposition heraus hätte durchsetzen können, ist fraglich. Zumal man auch bedenken muss, dass einige sozialdemokratische Großprojekte noch für die nächsten Monate geplant sind. Ich denke da an die Grundrente oder den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz an der Grundschule. Die Menschen jetzt zu enttäuschen und auf diese Meilensteine zu verzichten, wäre meiner Meinung nach falsch.

Was wir jetzt aber brauchen, sind ergebnisoffene Gespräche, um den Koalitionsvertrag zum Wohle der Bevölkerung an den aktuellen Bedingungen neu auszurichten. Denn wie Willy Brandt einmal sagte, will jede Zeit eigene Antworten und man hat auf ihrer Höhe zu sein, wenn Gutes bewirkt werden soll. Da es noch viel zu bewirken gibt, bin ich entschieden gegen eine leichtfertige Flucht in die Opposition.

Nach 2021 sollt es das dann aber mit der „Großen Koalition“ gewesen sein, damit CDU und SPD im Bund künftig ihre Unterschiede wieder deutlicher herausstellen können. Denn wie auf dem Bundesparteitag beschlossen, wollen wir uns für einen neuen Sozialstaat einsetzen sowie für die Wiedereinführung der Vermögensteuer, mehr Anstrengungen im Klimaschutz, die Kindergrundsicherung und mehr bezahlbare Wohnungen. Für Abgesänge bleibt uns da wirklich keine Zeit.