Eigentlich standen im Europäischen Parlament der Brexit, Strategien gegen den Klimawandel, die Gestaltung der Digitalisierung und solidarische Lösungen in der EU-Migrationspolitik im Fokus der politischen Arbeit. Die Agenda veränderte sich jedoch drastisch, als COVID-19 zunächst Italien und Frankreich und anschließend ganz Europa erreichte.
Durch das Verhandlungsgeschick vor allem des deutschen Finanzministers Olaf Scholz wurde ein umfangreiches EU-Soforthilfeprogramm beschlossen, das die Gesundheits- und Sozialsysteme sowie die europäische Wirtschaft durch Notfallhilfen unterstützte. Ein riesiger Verhandlungserfolg war insbesondere das im Sommer beschlossene Wiederaufbauprogramm. Europa hat aus den Krisen der Vergangenheit gelernt: Zuschüsse statt nur Kredite, die die überschuldeten Staaten weiter in eine Abwärtsspirale drängen würden. Keine verfehlte Kürzungspolitik, sondern nachhaltige Investitionen in eine moderne Infrastruktur und eine klimafreundliche Wirtschaft, die Stärkung der Gesundheits- und Sozialsysteme durch Kurzarbeit und eine europäische Arbeitslosenrückversicherung.
Auch die Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten und dem Europaparlament über den EU-Haushalt haben einige erfreuliche Neuerungen gebracht: Die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit ist Teil des Kompromisses zwischen Mitgliedstaaten und Parlament, die Einführung von EU-Eigenmitteln wurde auf den Weg gebracht. Die parlamentarische Mitbestimmung ist in das Wiederaufbauprogramm aufgenommen. Allerdings wird dieses Verhandlungsergebnis in dem Moment, in denen ich diese Zeilen schreibe, leider im Rat blockiert. Insbesondere Viktor Orbán und die nationalkonservative Regierung in Polen stellen sich gegen den Rechtsstaatsmechanismus und gefährden so den Wiederaufbau in ganz Europa und sorgen für Verzögerungen für notwendige Investitionen. Das zeigt nicht nur, wie sehr die beiden Regierungen rechtsstaatliche Prinzipien mit Füßen treten, sondern verdeutlicht auch einmal mehr, dass nationalstaatliche Egoismen Gift für die europäische Weiterentwicklung und die Menschen in Europa sind.
2020 hat gezeigt, dass Europa nur gemeinsam und solidarisch erfolgreich aus der Krise kommen kann. Vor uns liegt in den kommenden Wochen noch viel Arbeit, nicht nur mit Blick auf die Covid-19-Pandemie und den Haushalt der EU. Noch dieses Jahr muss es zu einer Einigung beim Brexit kommen. Es kann sein, dass das Europaparlament noch zwischen den Jahren zusammenkommen muss, um ein Verhandlungsergebnis zu bewerten.