Hart, aber fair streiten

Dr. Sascha Raabe (SPD), Bundestagsabgeordneter

Das Corona-Virus scheint bei einigen Menschen auch den Verstand zu befallen. Keine Verschwörungstheorie ist zu blöd, um nicht tausende Follower in den sozialen Medien zu haben. Bill Gates, der als weltweit größter Spender mit seiner Stiftung unzähligen Kindern in Afrika das Leben gerettet hat, wird als Teufel auf sogenannten „Hygienedemos“ verunglimpft.

Ich hatte als Entwicklungspolitiker bereits mehrmals die Gelegenheit, mich mit Bill Gates persönlich und intensiv über die Arbeit seiner Stiftung auszutauschen und schätze sein Engagement sehr. Es ist einfach nur widerlich, wenn „Starkoch“ Attila Hildmann schwadroniert, dass „Satanist“ Gates die Weltbevölkerung auf 500 Millionen reduzieren wolle, um die Verbliebenen dann mithilfe vorher implantierter Chips zu steuern. Der Sänger Xavier Naidoo faselt von unterirdischen Lagern, in denen Kinder von einer Elite gefangen gehalten werden, um aus ihrem Blut ein Lebenselixier zu machen. Nun könnte man Hildmann und Naidoo als vereinzelte „geistig Verwirrte“ abtun. Das Problem ist, dass tausende Menschen in Deutschland diesen Unsinn glauben. Leider verwischen sich auf vielen Corona-Demos die Grenzen zwischen berechtigter Kritik und gefährlicher Hetze.

Persönlich gehöre ich auch zu denen, die sich seit Ostern eher für schnellere weitere Lockerungen aussprechen. Trotzdem respektiere ich alle, die lieber etwas vorsichtiger vorgehen wollen. Also: Bitte hart, aber immer fair - und ohne Aluhut - über den richtigen Weg streiten. Zu einer sachlichen Auseinandersetzung gehört, dass es natürlich völlig legitim ist, kritisch zu hinterfragen, ob die getroffenen Maßnahmen angemessen waren bzw. sind oder nicht. Schließlich geht es um gravierende Einschränkungen der Grundrechte. Für mich ist die erfreuliche drastische Senkung der täglichen Zahlen der Neuinfizierten eindeutig ein Erfolg der bisher getroffenen Maßnahmen. Von 6.000 Neuinfizierten pro Tag sind wir auf etwa 500 pro Tag stabil gesunken. Während bis Mitte April noch nicht genau bekannt war, was die Hauptübertragungswege sind, haben wir mittlerweile recht gesicherte Erfahrungen und Erkenntnisse: Eng gedrängte Zusammenkünfte von vielen Menschen in geschlossenen, schlecht belüfteten Räumen sind die mit Abstand größte Risikoquelle. Eine Übertragung des Corona-Virus im Freien ist hingegen sehr unwahrscheinlich.

Meiner Ansicht nach reicht es deshalb bis zur Verfügung eines Impfstoffes aus, in geschlossenen öffentlichen Räumen möglichst Abstand zu halten, gut zu lüften und eine Mund-Nasen-Maske zu tragen. Fast alle Aktivitäten im Freien vom Sport über kulturelle Open-Air-Veranstaltungen bis zum Freibad sind unter Beachtung praktikabler Abstandsregeln relativ gefahrlos möglich. In diesem Sinne sollten weitere Lockerungen zeitnah erfolgen, ohne sorglos zu werden. Wenn wir zusammenhalten und fair miteinander umgehen, werden wir die Corona-Krise bestmöglich überstehen.