Zukunftsmodell für Organspende

Dr. Peter Tauber (CDU), Bundestagsabgeordneter

Mehr als 80 Prozent der Menschen in unserem Land stehen einer Organspende positiv gegenüber. In einer Gesellschaft, die auf Werten wie Solidarität und Miteinander fußt, ist diese hohe Zahl erst mal eine großartige Nachricht. Und dennoch liegt der Anteil derjenigen, die einen Organspendeausweis besitzen, lediglich bei 36 Prozent. Woher kommt diese Differenz? Ich glaube, auch wir als Gesetzgeber können und müssen mehr dafür tun, diese Lücke zwischen dem offenbar vorhandenen Willen und der tatsächlichen Umsetzung besser als bisher zu schließen.

Eine Erhöhung des Spenderaufkommens ist dringend nötig: Fast 10000 Menschen warten heute auf ein lebensrettendes Organ - dem gegenüber stehen 955 Spender im letzten Jahr. In Europa sind wir damit trotz der hohen Zustimmungswerte und der theoretisch erklärten Bereitschaft Spenden-Schlusslicht. Obwohl es sich um ein sensibles Thema handelt, bei dem auch klar sein muss, dass anderslautende Meinungen und Empfindungen uneingeschränkt respektiert werden, muss, wie ich finde, eines in unserer Solidargemeinschaft zumutbar sein: Jeder Mensch sollte sich zumindest einmal im Leben mit dem Thema Organspende auseinandersetzen.

Das Modell der sogenannten Widerspruchslösung fordert genau das: Sich die Frage zu stellen, ob man Organspender sein will oder nicht. Klar ist: Es geht dabei keineswegs um eine Pflicht zur Organspende. Die Selbstbestimmung wird in dieser wichtigen und individuellen Frage nicht eingeschränkt. Der Entscheidungsprozess wird lediglich umgekehrt: Anstatt wie bisher aktiv Zustimmung äußern zu müssen, um zum potenziellen Organspender zu werden, wollen wir künftig die Bereitschaft zur Organspende bei allen Bürgerinnen und Bürgern voraussetzen - es sei denn, sie widersprechen.

Alle Bürgerinnen und Bürger sollen nach diesem Modell angeschrieben und ausführlich über die neue Regelung informiert werden. Es gilt: Nur wer nicht widerspricht, ist möglicher Organspender. Und natürlich kann die Entscheidung jederzeit revidiert und geändert werden, ohne sich zu rechtfertigen oder Gründe angeben zu müssen. Um sicherzustellen, dass eine Organspende wirklich im Sinne eines möglichen Spenders ist, hat der Arzt oder die Ärztin in den Fällen, in denen kein Widerspruch vorliegt, zudem den nächsten Angehörigen zu befragen. Sollte auch hier keine Widerspruchshaltung des Betroffenen bekannt sein, kann er zum Organspender werden.

Ich bin der Meinung, dass die Widerspruchslösung ein wichtiger Schritt ist, um die Zahl der so dringend benötigten Organspenden effektiv zu erhöhen. Der Staat hat eine Pflicht zum Schutz des menschlichen Lebens und auch wenn es kein Recht auf ein Spenderorgan gibt, so wäre es fahrlässig, die Bereitschaft des absoluten Großteils der Bürgerinnen und Bürger nicht effektiver in konkrete Spenderzahlen umzusetzen. Die Widerspruchslösung wahrt dabei die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen und entspricht unserem Menschenbild des mündigen und selbstbestimmten Bürgers - die Kontrolle über diese sensible Frage bleibt zu jeder Zeit in der Hand des Betroffenen. Gerade in dieser Mündigkeit liegt jedoch auch eine Verantwortung. Nicht zur Organspende. Aber zur Entscheidung darüber, ob man Organspender sein will.